Gesundheit gestalten > Lebendiger Rhythmus
aus: momentum 3/2022
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Im rhythmischen Fluss

Reinhard und Anna-Maria Flatischler

Jeder möchte gern im Rhythmus sein, doch zugleich hat wohl jeder eine andere Vorstellung davon. Was bedeutet es, „im Rhythmus zu sein“, und wie gelangt man in diesen Zustand? Durch Tanzen oder beim Lernen eines Musikinstruments? Durch regelmäßiges Essen oder durch einen gleichbleibenden Schlaf-Wach-Rhythmus? All das kann in bestimmtem Maße helfen, doch ganz und gar im Fluss des Rhythmus zu sein, ist ein Zustand, der mehr umfasst: Dinge gehen plötzlich wie von selbst, das Gefühl von Wohlbefinden, Freiheit und Verbundenheit stellt sich ein.

Jeder, der diesen Zustand einmal erlebt hat, möchte ihn wieder erleben. Das Gute ist: Wenn er sich einmal geöffnet hat, ist es leicht, wieder zu ihm zurückzufinden. TaKeTiNa ist ein Weg in diesen Zustand – es führt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Gruppe in profunde rhythmische Synchronisation. Durch das vielschichtige Erleben können die Übenden ganz in den Rhythmus eintauchen, sodass keine Vorstellung und kein Gedanke mehr zwischen „dem Machenden“ und dem Rhythmus stehen.

Das rhythmische Urwissen eines Menschen zu öffnen, lässt sich nicht einfach Schritt für Schritt erlernen, es braucht vielmehr ein Feld, in dem Stabilisierung und Destabilisierung, Ordnung und Chaos, Machen und Geschehenlassen synergetisch zusammenwirken.

Kommt man zum ersten Mal mit TaKeTiNa in Berührung, wird erkennbar, dass es in diesem Prozess primär um Rhythmus geht. Doch anstatt beliebige Rhythmuspattern zu lernen, werden die Teilnehmenden direkt zu den Wurzeln von Rhythmus geführt – und damit zu jenen Rhythmusarchetypen, die die Grundlage für die Musik aller Kulturkreise sind. Sie begegnen den rhythmischen Urbewegungen Puls, Zyklus und Unterteilungspuls, auf denen nicht nur Musik, sondern auch unzählige Natur- und Körperrhythmen mit ihren mannigfachen Erscheinungsformen beruhen.

„Wenn man sich auch dem Nichtwissen hingeben kann, öffnet sich eine Tür zu einem profunden und authentischen Wissen.“

Wie in der letzten Ausgabe bereits beschrieben, baut TaKeTiNa ein Netzwerk vieler unterschiedlicher Rhythmen zugleich auf. Jede Ebene für sich ist einfach, in ihrem Zusammenspiel jedoch entstehen komplexe Strukturen, die für Menschen, die nicht professionell Musik machen, normalerweise unzugänglich sind. Das Besondere dabei ist jedoch, dass die Teilnehmenden den Grad der Komplexität selbst steuern können, indem sie entscheiden, welche dieser Rhythmen sie aktiv umsetzen. Dadurch kann jeder lernen, wie er in eine Balance zwischen Überforderung und Unterforderung findet.

Jenseits von der Entscheidung der Übenden, wie viele der angebotenen Rhythmen sie umsetzen, gibt es aber auch einen Mechanismus, der von sich aus wirkt: Sobald die Intensität der Informationen für das Nervensystem der Teilnehmenden zur Überlastung führt, fallen sie ohne weiteren äußeren Grund aus dem Rhythmus.

Das Hin und Her zwischen „aus dem Rhythmus fallen“ und „wieder in den Rhythmus zurückfinden“ ist ein integraler Bestandteil der TaKeTiNa-Methode, denn diese fluktuierende Bewegung bringt die Übenden an den Punkt, an dem sie Rhythmus nicht mehr machen, sondern an dem sie zum Rhythmus werden.

In unserer Gesellschaft ist es wünschenswert, möglichst viel zu wissen und zu können. Doch geht es wirklich um die Quantität? Ist nicht die Qualität des Wissens der wesentlichere Faktor? Und damit kommen wir zum Lernprozess, denn die Tiefe des Wissens und Könnens, die wir erreichen können, hängt unmittelbar damit zusammen, wie wir dies entwickelt haben.

Manche Lernformen versuchen, Fehler von vornherein zu vermeiden und jegliche Form des Chaos zu umgehen. Vielen fällt es dadurch schwer, Fehler zuzulassen und sie als Teil des Lernprozesses zu verstehen. Doch genau darin liegt großes Potenzial, denn je mehr sich die Angst vor dem „Rausfallen“ aus dem Rhythmus, also die Angst vor dem Fehlermachen, auflöst, desto weniger Fehler werden passieren, und die Furcht vor Unvorhersehbarem löst sich auf. Was sich jedoch entwickelt, ist die Neugierde auf das, was entsteht. Wenn man sich auch dem Nichtwissen hingeben kann, öffnet sich eine Tür zu einem profunden und authentischen Wissen.

Auch in der Natur entwickeln sich lebende Organismen durch stets wiederkehrende Chaos- und Ordnungsphasen. Chaos ist nicht gleichzusetzen mit Durcheinander oder Tohuwabohu. Es ist auch nicht einfach Unordnung, sondern vielmehr ihr Gegenteil. Dem rhythmischen Chaos wohnt eine Kraft inne, die unmittelbar wieder in die Synchronisation führt. Sich dem Nichtwissen in einer Chaosphase hinzugeben und zu erfahren, dass man dabei keineswegs verloren ist, hat Auswirkungen auf das ganze Leben. Wenn es jemandem gelingt, in unsicheren Momenten Gelassenheit und Vertrauen zu entwickeln, findet er wie von selbst wieder in den rhythmischen Fluss zurück.

TaKeTiNa®- Rhythmustherapie

Sich im rhythmischen Fluss zu bewegen und dabei die eigene Lebendigkeit zu spüren, ist eine intensive und sinnliche Körpererfahrung, die Menschen Qualitäten, wie Halt, Getragensein, Vertrauen und Verbundenheit spüren lässt. Der durchgehende, tragende Rhythmus, selbst in Phasen, in denen Teilnehmer den Rhythmus verlieren, gibt Struktur und vermittelt Sicherheit. Das ist eine ideale Basis für therapeutische Behandlungen, vor allem dann, wenn eine verbale Kommunikation zunächst nicht möglich ist.

Rhythmus wird in TaKeTiNa zum Werkzeug innerer Entwicklung, denn dysfunktionale Verhaltensweisen zeigen sich in rhythmischen Problemen. Die Art, wie jemand mit sich umgeht, wenn er aus dem Rhythmus fällt, hat unmittelbar damit zu tun, wie er auch im Leben mit Rausfallen umgeht. Aus diesem Grund wird TaKeTiNa als fester Bestandteil in klinischen und therapeutischen Settings genutzt. Mehr dazu: www.taketina.com/rhythmus-in-der-therapie.

ÜBUNG – Der Umgang mit Chaosphasen

Übung, die Sie jederzeit in Ihren Alltag integrieren können

Sicherlich erleben Sie Situationen, in denen Sie aus dem Fluss geraten oder in denen Sie Fehler machen. Wie verhalten Sie sich in diesen Momenten? Machen Sie sich reflexionsartig eng? Ärgern Sie sich oder führen Sie einen inneren Dialog, wer an diesem Zustand schuld sein könnte? Oder können Sie sich entspannen, neugierig bleiben und darauf vertrauen, dass sich Dinge wieder ordnen und Sie wieder in den Rhythmus finden? Wenn es ihnen gelingt, sich von zwanghaftem Denken und emotionaler Reaktivität zu lösen, werden Sie frei in Ihrem Handeln. Was jedoch im Alltag oftmals schwer zu ändern ist, kann im Rhythmus, also in einem neutralen Umfeld, spielerisch transformiert werden.

Die TaKeTiNa-Rhythmusübung finden Sie in Form eines Videos hier: www.taketina.com/momentum

Wahrscheinlich machen Sie in der Übung eine Erfahrung anfangs häufig: Sie fallen aus dem Rhythmus – und es kann sein, dass Sie das zunächst als störend erleben oder sich darüber ärgern. Wollen Sie dieses Aus-dem-Rhythmus-Fallen tunlichst vermeiden? Das wäre schade, denn damit geht Ihnen ein großes Potenzial verloren: Wenn Sie sich beim Aus-dem-Rhythmus-Fallen entspannen und dabei präsent und neugierig bleiben, entwickelt sich körperliche und mentale Flexibilität. Die Gelassenheit, die Präsenz und die Flexibilität, die Sie mit TaKeTiNa üben können, stehen Ihnen auch in alltäglichen Situationen zur Verfügung – und das kann Ihr Leben in einen neuen Fluss bringen.

Zum Weiterlesen:

Luce, Gay G. Körperrhythmen: Die Uhr in uns geht ganz genau. Hoffmann und Campe (1973)

Holst, Erich von. Die relative Koordination als Phänomen und als Methode zentralnervöser Funktionsanalyse. Ergebnisse der Physiologie 1939; 42: 228–306

Flatischler, Reinhard. Rhythm for Evolution: Das TaKeTiNa Rhythmusbuch. Schott (2006)

Flatischler, Reinhard. Taketina. Die heilsame Kraft rhythmischer Urbewegungen. Irisiana (2012)

Flatischler, Reinhard. Die vergessene Macht des Rhythmus. Synthesis (1990)

Zu den Personen:

Reinhard Flatischler wurde 1950 in Wien geboren und absolvierte ein Studium an der Musikuniversität Wien, bevor er jahrelang bei Meistertrommlern aller Kontinente studierte. 1970 begründete er die TaKeTiNa® Rhythmuspädagogik. Er ist wissenschaftlicher Beirat der Gesellschaft für Musik in Medizin und Komponist und Begründer der legendären Gruppe „MegaDrums“ und der beiden Orchestersuiten „Waves upon Waves“ und „Space beyond Space“. Gemeinsam mit seiner Frau und Musikpädagogin Anna-Maria Flatischler leitet er das TaKeTiNa Institut für Rhythmuspädagogik und Rhythmusforschung sowie weltweit Ausbildungen und Workshops.

Gesundheit gestalten > Lebendiger Rhythmus
aus: momentum 3/2022
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Im rhythmischen Fluss

Synchronisationsfähigkeit entwickelt sich im Wechsel von Chaos und Ordnungsphasen.
© Barbara Maria Hauser

Momentum

Durch den tragenden Rhythmus wird Verbundenheit spürbar.
© Hugo Machado